PROJEKTREPORTAGE

62-63 Pall Mall, London

Short and Associates, London
MJP Architects, London

Die Hinterhoffassade mutet venezianisch an: Über einem Säulengang im Erdgeschoss, sitzen langgestreckte Bogen- und fünf runde Bullaugenfenster. Den oberen Abschluss bilden filigran gefüllte Bögen.

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62-63 Pall Mall, London

  • Autorin: Anna Schabel
  • Fotos: Peter Durant, Frank Peterschröder, Image Exclusive, Simon Kennedy

Im Zentrum von London haben Short and Associates in Zusammenarbeit mit MJP Architects einem komplexen Umbau eine neue Kulisse aus weißen Klinkern vorgehängt. Das Büro Short and Associates war für den Entwurf verantwortlich. Architekt Michael Ritchie hat die Genehmigung begleitet und nach seinem Wechsel zu MJP Architects die Ausführung übernommen. Das Ensemble wurde für 11,15 Millionen Pfund umgebaut und im Jahr 2015 fertiggestellt.

Das Projekt stellt nicht so sehr einen Neubau als vielmehr eine Konsolidierung des Bestandes dar. Neu gebaut wurden die zusammengelegten Parzellen der Pall Mall 62–63, wobei die Straßenfassade teils erhalten, teils rekonstruiert wurde. Die so entstandenen Büroräume bekamen einen neuen Eingang von der St James’s Street mit einer inszenierten, freistehenden Treppe im Innenhof. Darunter wurde ein neuer, zweigeschossiger Keller zur Bewirtung geschaffen. Die Weinhandelsfirma Berry Bros and Rudd, seit dem siebzehnten Jahrhundert in Familienbesitz, fungierte als Bauherr. Um den großen Wert der innenstädtischen Lage voll zu nutzen, hat die Firma ihr Weinlager von der Pall Mall nach Guildford im Außenbereich Londons verlegt. Die ehemaligen Weinkeller wurden ausgebaut und werden heute für Weinproben genutzt. So können die Weine in einer angenehmeren Atmosphäre ausgeschenkt und besser präsentiert werden. Zusätzlich erbringen die neuen Büroräume über sieben Geschosse hohe Mieteinnahmen.

Prof C. Alan Short, Short and Associates, London

Michael Ritchie, MJP Architects, London

Außer Pall Mall 62–63 sind die historische Weinhandlung an der St James’s Street, die schwarz gesichtigen georgianischen Häuschen am Pickering Place – dem ältesten vollständig georgianischen Platz Londons – sowie das prächtige, denkmalgeschützte Eckgebäude von Richard Norman Shaw aus dem Jahr 1812 Teil des Ensembles. Die Eingänge zu Weinhandlung, Restaurant und Büros liegen alle auf der prestigeträchtigen St James’s Street-Seite. Es wurden neue Verbindungen zwischen den verschiedenen Gebäuden geschaffen – sowohl im Keller als auch im Erdgeschoss. Da all diese Nutzungen so ineinandergreifen, dass sie räumlich nicht zu trennen sind, wurde die Baustelle extrem komplex. Hinzu kamen die schlechte Zufahrt und der mangelnde Platz für einen Kran.

Das Gebäudeensemble zwischen Pall Mall und St James Street wurde durch den Umbau verbunden und klar strukturiert: in der Pall Mall befinden sich auf sieben Geschossen extern vermietete Büros, der Haupteingang hierzu sowie zum Weinhandel und dem Restaurant befinden sich in der St James's Street.

Als einziger Zugang konnte eine Baulücke genutzt werden. Die Bauarbeiten fingen 2011 an, wurden dann während der Olympiade 2012 unterbrochen, da die Straße für Zulieferer gesperrt war, und erst 2015 vollendet. Die Arbeit der Architekten konzentrierte sich vor allem auf den Bereich der Pall Mall. Hier wurde nicht nur ein dramatischer Erschließungsbereich geschaffen, sondern auch die außergewöhnliche weiße Klinkerfassade, die hoch über dem Hinterhof schwebt. Sie ist das Kernstück des Entwurfs, obwohl sie kaum Fernwirkung entfaltet. Hier wird die dramatische Wirkung von Glas gegen ornamentalen Klinker ausgespielt. Diese Fassade erinnert in ihrer eklektizistischen und dekorativen Ausgestaltung an italienische Bauten, nicht zuletzt an die von OMA neu renovierte Fondaco dei Tedeschi am Canal Grande.  

Grundriss Erdgeschoss Pall Mall 62–63.

„Das Material wird hier aufs Höchste beansprucht, weshalb die robusten weißen Klinker der Firma Röben gewählt wurden.“
Mit diesem Entwurf entwickelt Prof. Alan Short seine Fassade des Instituts für Slawische und Osteuropäische Studien in London weiter. Auch dort sind in der tragenden Klinkerwand eine Reihe von tanzenden Fenstern integriert, in Anlehnung an den Arts-and-Craft-Stil von William Morris. Fast venezianisch erscheint die Verteilung der Fensterformate von Pall Mall 62–63: Fünf runde Bullaugen sitzen über langgestreckten vertikalen Bogenfenstern, darunter ein Säulengang, der wiederum von auf und ab schwingenden Bögen abgeschlossen wird. Den oberen Abschluss bilden filigran gefüllte Bögen und der weiße Kaminblock. Architekt Michael Ritchie sagt: „Altes und Neues wird hier theatralisch verbunden.“ und „die Rückfassade wurde von der Brandwand abgesetzt, um einen dramatischen Eingang mit Tageslicht zu schaffen.“ Die Fassade steht auf schmalen Säulen, darüber folgen noch schmalere Unterteilungen, und unter dem Dach löst sich die Fassade gänzlich in ein transparentes Netzwerk auf.

Der Übergang zwischen Alt- und Neubau wurde durch ein Lichtband im Dach akzentuiert.

Das Material wird hier aufs Höchste beansprucht, weshalb die robusten weißen Klinker der Firma Röben gewählt wurden. Auch der weiß eingefärbte Mörtel ist besonders fest. Die glatte harte Oberfläche der Klinker vereinheitlicht das Fassadenbild. Für die Bögen und Rundfenster wurden Spezialformate eingesetzt, die bündig mit der Fassade abschließen. Der monolithische Eindruck wird auch dadurch erzeugt, dass auf Fugen verzichtet wurde. Die Fassade musste wegen dieser Fugenlosigkeit verstärkt werden. In jeder zweiten Reihe liegen Stahlstäbe. Die dünnsten Pfosten haben Öffnungen, durch die ein vertikaler Stahl gefädelt ist. Die wasserableitenden Fenstergesimse und Ecksteine sind aus Kunststein in der Farbe der Klinker. Die helle Farbe wurde in Anlehnung an die Tradition der Londoner Rückfassaden gewählt, wo weiß glasierte Kacheln oder Klinker verwendet wurden, um Licht in Hinterhöfe oder Gassen zu tragen. Das Weiß wirkt besonders leuchtend im Kontrast zu den schwarzen Fassaden der alten Häuser. Michael Ritchie sagt: „Die neue Fassade überbrückt mehrere Häuser im Hinterhof, und zur besseren Lesbarkeit haben wir auf große Einheitlichkeit gesetzt.“

Die weiße Klinkerfassade des Bürogebäudes Pall Mall 62–63 erleuchtet den Londoner Hinterhof.

Diese neue Fassade fasst die ehemals kleinteilige Hinterhofbebauung zusammen. Sie bedeutet die architektonisch wirksamste Veränderung – eine Anordnung von Formen, die wie eine Kulisse wirkt. Im Gegensatz zu diesem Kontrast fügt sich die rekonstruierte straßenseitige Steinfassade sehr zurückhaltend in die Umgebungsbebauung ein. Lediglich die alten Fensterformate wurden gestreckt, um sie mit dem neuen Fußboden abzugleichen. Viel Zeit und Arbeit ist auch in die Restaurierung der alten Ziegelrückwand der georgianischen Gebäude geflossen, die die neue Treppe im Innenhof rahmt. Das historische Ziegelmauerwerk wurde vollständig erhalten. Über den  Innenhof spannt sich ein schlichtes Glasdach – das von oben einfallende Licht streift die Wände und bringt ihre Unregelmäßigkeiten zum Vorschein. Auch hier wird die neue Nutzung durch architektonische Elemente inszeniert. „Die Treppe dort hochzusteigen, wo man von einem überdachten Außenraum in einen Innenraum hinter der Klinkerfassade kommt, ist räumlich eine sehr interessante Stelle“, sagt Michael Ritchie.
„Hier wurde nicht nur ein dramatischer Erschließungsbereich geschaffen, sondern auch die außergewöhnliche weiße Klinkerfassade, die hoch über dem Hinterhof schwebt. Sie ist das Kernstück des Entwurfs.“
Der Eingang in das Kellergeschoss ist unscheinbar und fast geheim. Man versammelt sich im niedrigen Salon eines der alten Häuser und wird dann durch eine Tapetentür in das Treppenhaus dahinter geführt. Eine breite Treppe führt hinab in den Keller. Die neuen Gewölbe sind mit spanischen Ziegelbögen ausgefüllt, eine elliptische Öffnung im Boden ermöglicht Blicke zwischen den Geschossen. Der Innenausbau im rustikalen Stil lässt an einen mittelalterlichen Kerker denken. Eine Großküche zwischen dem alten und neuen Keller sorgt für die Bewirtung. „Das alte Ziegelmauerwerk passt gut mit dem historischen Verständnis des Weinhandels zusammen“, sagt Michael Ritchie. Die Bauherren haben hier eine äußerst komplexe Bauaufgabe gestellt: die Verbindung und Erweiterung von denkmalgeschützten Häusern aus verschiedenen Jahrhunderten in einer der teuersten Ecken der Stadt. Was sie bekommen haben, übersteigt sicher ihre Erwartungen: eine technisch gelungene Lösung, die die Situation theatralisch inszeniert und gleichzeitig die ökonomische Verwertung maximiert. Hier wurde ein ungewöhnliches Projekt jenseits von Bauentwicklernormalität  ausgeführt.

Architekten

Short and Associates, London
www.shortandassociates.co.uk

Professor Alan Short leitet das Büro Short and Associates, das 1992 von ihm in London gegründet wurde. Parallel zu seinem Büro lehrt er an der University of Cambridge im Fach Architektur. Er betreibt Forschung vor allem im Bereich Niedrigenergiehäuser und passiver Belüftung und hat die Ergebnisse in viele seiner Projekte integriert. Das Büro arbeitet hauptsächlich für Universitäten und öffentliche Bauherren. Alan Short ist vorwiegend für Entwurf und Planungsgenehmigung verantwortlich.

Projekte (Auswahl)

2005 School of Slavonic and East European Studies, London
2004 The Braunstone Health and Social Care Centre, Leicester
2003 The Garrick, Lichfield
2002 The Lighthouse, Poole, Dorset
2000 Coventry University New Library and Learning Resource Centre, Coventry

Architekten

MJP Architects, London
www.mjparchitects.co.uk

MJP Architects wurde 1972 als MacCormac Jamieson Prichard gegründet. Gründer Richard MacCormac, der 2014 gestorben ist, war eine wichtige Figur in der Architekturszene Englands und wurde 2001 von der Königin zum Ritter geschlagen. 2007 wurde MJP Architects in eine Stiftung im Besitz der Angestellten umgewandelt. Michael Ritchie ist seit 2008 bei MJP Jaund hat zuvor für Short and Associates an der Genehmigungsplanung für Pall Mall 62–63 gearbeitet.

Projekte (Auswahl)

2017 Jersey International Finance Centre, Jersey
2016 Elm Grove Hall, London
2015 London Hostel Association, London
2011 Kendraw Quadrangle, Oxford
2009 BBC – Broadcasting House, London

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